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P I R A T E N

Gefährliche Leidenschaft

Drohungen, Verrat, Gier – gnadenlos bekämpfen sich Profi-Raubkopierer hinter den Kulissen der Tauschbörsen. Zwei Szene-Insider packen aus

An seinem letzten Tag als Raubkopierer blickt Daniel Dewald (Name von der Redaktion geändert) aus dem Fenster seiner Wohnung im Frankfurter Stadtteil Bockenheim in einen trüben Herbsttag und erinnert sich an seine Erlebnisse in der Szene. Der gelernte Kaufmann war von Anfang an dabei, ein „Oldschooler“, sagt man im Szeneslang. Jetzt hat er seine Sachen gepackt: zwei Taschen, einen Pocket-PC. Damit will er „in den Süden, alle Brücken abbrechen, zur Ruhe finden“. Der 26-Jährige, zweifacher Vater, verabschiedet sich aus einem Milieu, das in Terabyte rechnet – und in dem Marken wie Time Warner nichts und Namen wie AHE, DGSC, CINEVCD oder FTL alles gelten. Diese so genannten Release-Groups wetteifern, wer als Erster eine Kopie der neuesten Hollywood-Streifen oder Musikalben oder wenigstens den technisch saubersten Datenklon ins Netz stellt.

Der einstmals sportliche Wettstreit mutiert immer öfter zum unfairen Kampf. Die Anzeigen bei der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) oder bei Staatsanwaltschaften direkt aus der Szene häufen sich. „Meist spielen persönliche Abneigungen eine Rolle – der reinste Kindergarten“, sagt Dewald abschätzig. „Außerdem wird da eine Menge Geld verdient, und deshalb kommen immer mehr Fremde auf die Rechner, über die getauscht wird. Das kotzt mich an.“

Die Gier nach dem schnellen Geld treibt kriminelle Anbieter dazu, auf Servern Terabytes – mehrere Millionen Megabytes – an Daten zum Download bereitzustellen. „Da findet man alles: aktuelle Filme, Streifen aus den 60er-Jahren, Pornos, Musik, Programme, Spiele, Hörbücher, E-Books, Comics oder gescannte Magazine.“ Provider, beispielsweise in Österreich, beherbergen die Rechner, „obwohl sie wissen, dass damit illegale Ware verbreitet wird. Die kalkulieren fest mit den Gebühren, die sie von den Raubkopierern bekommen“, sagt Dewald. So will er an einem Standort in der Alpenrepublik 40 Rechner mit illegaler Fracht ausgemacht haben. „Mittlerweile gilt das aber als uncool, dort einen Server zu haben – weil das ja jeder macht“, verrät der Datenpirat. Ihm bot ein Provider sogar an, gegen 1000 Euro seine Server in einem doppelten Boden im Rechenzentrum zu verstecken. Zwar greifen meist nur 50 bis 70 Menschen auf solche Datenspeicher zu, „die zahlen aber bis zu 50 Euro pro Monat, das läppert sich“, erläutert Dewald.

Vor 16 Jahren entdeckt der Computerfan seine Leidenschaft für Bits und Bytes. Damals, noch in der DDR, hackt der Jugendliche in einer Dorfschule nahe der sachsenanhaltinischen Kleinstadt Sangerhausen zum ersten Mal auf einer Tastatur herum. Ein Lehrer beschafft ihm Programme aus dem Westen. „Raubkopien natürlich“, schmunzelt er. „Anders kam man damals gar nicht an so etwas heran.“

Nach seiner mittleren Reife, Anfang der Neunziger, beginnt Dewald eine Lehre zum Kaufmann im Einzelhandel für EDV und Datentechnik und gründet mit 20 Freunden eine Tauschgruppe unter dem Phantasienamen FHF. Beinahe gleichzeitig kommt der erste komfortable Internet-Browser auf den Markt. „Damit ging es richtig los.“

Nachschub für seine datenhungrigen Kumpane organisiert er aus seiner Firma. Ein Kollege erhält jeden Monat kopierte Programme und Spiele aus England für 50 Mark. Die Briten haben Kontaktpersonen in den Firmen, die Software kommerziell vervielfältigen – Dewalds erste Berührung mit der professionellen Raubkopiererszene.

Doch ihn und seine Tauschfreunde lockt nicht das große Geld. Sie wollen nur nicht für Programme bezahlen. „Mindestens ebenso wichtig war die technische Herausforderung“, meint er. Acht Stunden sitzt er am Monitor, nur um den deutschen Ton, den er in einem Kino aufgenommen hat, unter den Film „Peter Pan“ zu legen. „Die Bildspur hatte ich aus den USA. Die war aber acht Minuten länger als die deutsche Fassung“, stöhnt der Tüftler, „es war eine elende Arbeit, die Tonspur mit amerikanischen Versatzstücken zu verlängern, damit Ton und Bild synchron liefen.“

Den Tausch digitaler Schätze wickeln die Bit-Bastler zunächst auf Uni-Rechnern ab. „Die hatten genug Speicherplatz und schnelle Anbindung ans Internet“, erklärt Dewald. „Die Administratoren der Uni-Rechner saßen mit im Boot.“ Die Szene weitet sich aus, andere Gruppen gründen sich, knüpfen Kontakte. Die Lust am Saugen nimmt Dewald gefangen. Immer mehr Zeit verbringt er vor dem Bildschirm. Als er sich 1997 nach seiner Lehre als IT-Dienstleister selbstständig macht, bleibt zwischen Arbeit und Tauschszene kein Platz mehr für seine Freundin und seinen Sohn. „Das ging dann zwangsläufig in die Brüche“, meint er und atmet tief durch. Wegen wirtschaftlicher Probleme muss er seine Firma schließen. Er wechselt mehrmals die Jobs, die einzigen Konstanten sind seine neue Freundin und das Netz der Raubkopierer. Wieder verstrickt sich Dewald in den fatalen Rhythmus: Er arbeitet tagsüber und kümmert sich nachts um seine Server. Die stehen teilweise in seiner Wohnung, teilweise bei einem Provider. Die Hardware haben ihm so genannte Sponsoren finanziert, die im Gegenzug Zugriff auf die Raubkopien im Netz erhalten.

Im Sommer dieses Jahres brechen die Probleme Schlag auf Schlag über Dewald herein. Seine neue Freundin, mit der er eine einjährige Tochter hat, macht Schluss. Auch in der Raubkopiererszene handelt er sich Ärger ein. Er schwärzt eine andere Tauschgruppe, die über das Rechenzentrum seines Providers agiert, bei der GVU an. „Mir war das Risiko einfach zu groß, dass diese Gruppe Fahnder auf den Provider aufmerksam macht und die durch Zufall auch meine Rechner entdecken.“ Die Staatsanwaltschaft schlägt wie gewünscht zu. Doch nur zwei Tage später ist sie auch auf Dewalds Spur. Sie beschlagnahmen die Rechner, die er bei seinem Provider aufgebaut hat. „Geräte im Wert von 7000 Euro. Der Hinweis auf mich war eindeutig die Retourkutsche von denen, die ich angezeigt habe“, vermutet Dewald und lacht höhnisch. „Zum Glück erhielt ich vor der Durchsuchung bei mir zu Hause einen Tipp und konnte belastendes Material verstecken.“ Die Server, die bereits beschlagnahmt sind, habe er bei dem Provider als Dienstleister für einen serbischen Auftraggeber aufgestellt, sagt er den Fahndern. Was dieser mit den Rechnern getan habe, wisse er nicht. Es klappt. Die Ermittler können ihm nichts nachweisen.

Trotzdem geht er auf ein Angebot der Staatsanwaltschaft ein. Er soll bei der GVU auspacken. „Die geben Informanten Geld“, grinst Dewald. Doch der Deal platzt. Zwar trifft er sich mit einem GVU-Ermittler an einer Autobahnraststätte. Aber der Piratenjäger fordert vorab Belege für den Wert von Dewalds Wissen. „Wenn ich ihm das alles gesagt hätte, hätte ich keine Kohle gesehen“, schnaubt Dewald, „und mich selbst belastet.“ Auf die Urheberrechtsschützer ist er nicht gut zu sprechen: „Ohne Hinweise aus der Szene hätten die keinen einzigen Ermittlungserfolg vorzuweisen.“

Deshalb fürchtet er auch nicht, den Fahndern noch ins Netz zu gehen. Zumal er künftig die Finger von Raubkopien lassen will. Dass er sich gegenüber FOCUS offenbart, ist seine Versicherung gegen einen Rückfall. „Damit bin ich für die Szene tot“, meint er. Als er für ein Foto in die Kamera blickt, sagt er lakonisch: „Das wird ein schöner Grabstein für mich – natürlich nur virtuell.“

Äußerst real ist die Bedrohung, mit der Rainer Helter (Name von der Redaktion geändert) leben muss. Dass ihm die halbe deutsche Raubkopiererszene Übles wünscht, sieht man ihm nicht an. Schmächtig ist er, blass, ein wenig schüchtern. Den Kopf gesenkt, sitzt der Mittzwanziger, ein Informatikstudent, in der Bibliothek einer Fachhochschule, nestelt nervös an einem Schlüsselbund und blickt aus rot umrandeten Augen in den Raum. Er spricht langsam, macht lange Pausen zwischen den Sätzen, aber er spricht viel. Helter will reden. Über seine Wut auf die GVU. Der, sagt er, hat er brisante Infos über ein Dutzend Raubkopierer zugespielt. Die Organisation habe ihm dafür die schlimmsten Morgenstunden seines Lebens beschert.

16. März 2004, 5.30 Uhr: Ein Knall reißt Helter aus dem Schlaf. Sieben Menschen stehen plötzlich in seiner Wohnung, Polizeibeamte, ein Staatsanwalt – und einer der Chefermittler der GVU. Sie haben die Tür eingetreten. Helters Mutter, gerade erst von einem Schlaganfall genesen, sieht entsetzt, wie ihr Sohn in Handschellen abgeführt wird. Die Beamten bringen ihn auf die Polizeiwache zum Verhör, 15 Stunden wird es dauern. Der junge Mann, davon sind GVU und Polizei überzeugt, ist einer der gerissensten Raubkopierer in Deutschland.

Helter bestreitet das, sieht sich sogar auf der Seite der Jäger. „Ohne mich hätte die GVU im Kampf gegen die professionelle Piraterie wenig bis gar nichts in der Hand“, moniert er. Monatelang beobachtete er Seiten der Anbieter illegal kopierter Filme, Musik oder Spiele. Einer von denen sei er nie gewesen, beteuert er. Und ballt die Faust.

Monate vor seiner Verhaftung, so erzählt Helter, hat er die Ermittler auf die Spur einer der so genannten Release-Groups geführt. Im vergangenen Jahr habe er es satt gehabt, dass Piraten saftige Gebühren fürs Herunterladen verlangten. „30 Prozent der Raubkopierer handeln aus Geldgier“, glaubt er.

Im September 2003 verschafft sich der Computerkenner über seinen Rechner Zugang zum Netzwerk der Gruppe Cinema Home Entertainment (CHE). Über Monate protokolliert der junge Mann aus dem Ruhrgebiet das Treiben der Datenpiraten: Namen von Gruppenmitgliedern, E-Mail-Adressen, Kinos, aus denen Kopien stammen. „Ich konnte alles mitlesen“, erzählt Helter, „und ich druckte eine Menge Bildschirmaufnahmen aus.“ Das belastende Material will er an die Constantin Film und Time Warner geschickt haben. Von denen sei er prompt zu einer Art verdecktem Ermittler gemacht worden. Hauptauftrag: Tonspuren sammeln.

Helter schreibt oder ruft Vorführer an, die er in der CHE-Datenbank findet, sucht sie auf und zahlt ihnen 150 Euro pro deutsche Tonspur auf CD. „Das Geld dafür haben mir die Filmfirmen überwiesen.“ Als Belohnung erhält er Präsentboxen mit Kinokarten und DVDs satt. Ende vergangenen Jahres hat Helter genug Kompromittierendes gesammelt und übergibt das Material der GVU. Doch die Raubkopiererszene bekommt Wind von seinen Inkognito-Recherchen. Irgendwann steht ein breitschultriger Typ vor seiner Tür, schwarze Jacke, schwarze Hose. Der Mann schlägt Helter mit der Faust ins Gesicht und droht: „Wenn du aussagst, komme ich wieder.“

Schlimmer, findet Helter, sei gewesen, dass einige Raubkopierer der Hamburger GVU-Zentrale Belastendes über ihn gemeldet und ihn zum Kopf einer Release-Group gestempelt hätten. Bei der Planung der Hausdurchsuchungen im März steht der Student plötzlich ganz oben auf der GVU-Liste.

An jenem Spätwintermorgen schleppen die Beamten seinen Computer und mehrere CDs aus der Wohnung. Sie finden keine Spuren krimineller Kopiererei. Aber sie hinterlassen Spuren seelischer Art. Nachts macht Helter danach kaum noch ein Auge zu, nimmt Psychopharmaka. Seine Mutter ist auch in Therapie. Er erstattet Anzeige gegen den GVU-Cheffahnder – wegen Hausfriedensbruchs, Körperverletzung und Ruhestörung. „Der durfte ohne unsere Einwilligung gar nicht in die Wohnung“, zürnt Helter.

Die ganze Sache soll zu Ende sein, wünscht er sich. Er würde gern aussagen – in München, wo das Verfahren gegen die zwölf Raubkopierer der CHE-Gruppe läuft. Aber erst muss ihm die GVU eine Verzichtserklärung unterschreiben, um sein eigenes Verfahren einzustellen, sagt er. Und dass er dann endlich wieder ruhig schlafen könne.

Sebastian Jutzi/Frank Lehmkuhl

Quelle: Focus Online

Boaah.. krasse Sache... :mrbighead::mrbighead:

Geschrieben

Hab den Artickel auch im Focus gelesen. Fand ich voll interresant. Aber durch sowas seine Ehe zu Grunde gehen lassen... Ich weiß net...

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