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L'Amour Toujours ist bunt!


Phil

Empfohlene Beiträge

vor 7 Stunden schrieb hlennarz:

Nur Platz 8? Langweilig. 😉

In den Midweek-Charts war er noch auf 27, die Tendenz geht schon klar nach oben, könnte mir wirklich vorstellen, dass er es nächste Woche unter die Top 3 schafft.

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vor 2 Stunden schrieb Tigatier:

In den Midweek-Charts war er noch auf 27, die Tendenz geht schon klar nach oben, könnte mir wirklich vorstellen, dass er es nächste Woche unter die Top 3 schafft.

Oje oje oje, Ich sollte besser aufpassen was ich in den Rauhnächten sprich in der Zeit vom 24.12. bis 6.1. für das kommende Jahr manifestiere. 😅😅😅 es könnte wahr werden. Auf welchem Weg auch immer. 😅

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Gigi D‘Agostino: „Entscheidung ist rassistisch!“
 

Erst kaperten Rechtsextreme seinen Hit, dann schlug die „Cancel Culture“ zu. Radiosender, Münchner Oktoberfest, UEFA – sie alle wollen „L’Amour Toujours“ nicht mehr spielen! Jetzt geht Weltstar Gigi D’Agostino in die Offensive. Im Interview mit Conny Bischofberger und Michael Pichler nennt er die Entscheidung der UEFA „rassistisch“. 

 

„Einen Song zu verbieten, das ist wie eine Rückkehr ins Mittelalter“, erklärt der italienische DJ der „Krone“. „Wenn jemand ein Lied missbraucht, um rassistische Botschaften zu verbreiten, dann macht er das auch beim nächsten Lied und beim übernächsten. Rassismus lässt sich nicht stoppen, in dem man mein Lied verbietet.“

D’Agostino zeigt sich schockiert über die Hysterie, die nach dem Rassismus-Skandal auf Sylt und in Kärnten losgebrochen ist und verweist auf die einzige Bedeutung seines Songs. „Es handelt von der universellen Kraft der Liebe, von Menschen, die sich in den Armen liegen und sich vereint fühlen. Diese Entscheidung der UEFA ist eine explizite Ansage gegen die Liebe.“ Er nennt die Entscheidung explizit „rassistisch“.

 

Laut dem Nachrichtenmagazin „Profil“ hat die UEFA dem ÖFB mitgeteilt, dass der im März eingereichte und nun in Verruf geratene Song „L’Amour Toujours“ von Gigi D‘Agostino bei der Europameisterschaft nicht gespielt werden darf.

Das große Interview mit Gigi D’Agostino lesen Sie in der Sonntagsausgabe der „Krone“ und die Langfassung schon am Samstagabend auf Krone+.

 

Aha tatsächlich mal ein Grund die Zeitung zu holen. 
hol sie mir morgen im laufe des Tages aus dem Hotel, wenn ich nicht vergesse. 

 

 

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War heute in der Nachtgalerie in München und da haben sie kurz L` Amour Toujours angespielt!

Es war die L'amour Toujours Album Version! 

Bearbeitet von Schlonte
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Sehr gut, das war ja auch wirklich albern.

Bei den Großveranstaltungen ist es natürlich noch eine etwas andere Ausgangslage, aber ich hoffe, dass man auch da nach Ende des Hypes (vielleicht nächstes Jahr) wieder vom Spielverbot abkehrt.

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Gigi hat dem SPIEGEL ein richtig langes Interview gegeben.
Ich poste es hier mal komplett, aufgrund der Paywall.

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Gigi D’Agostino über rechtsextremen Ohrwurm

»Man zensiert aus Angst vor Rassisten ein Liebeslied«

Durch ausländerfeindliche Gesänge ist »L’amour toujours« zur Hymne der Rechtsextremen geworden. Hier spricht Gigi D’Agostino über politische Vereinnahmung, die Macht des DJs und sein Leben als medialer Einsiedler.

D’Agostino ist schüchtern. Der italienische DJ, 56, überlegt erst, den SPIEGEL persönlich zu treffen in Lugano, wo er sein Studio hat, verwirft die Idee dann aber. Für einen Videochat steht er auch nicht bereit.
Der Musiker, der eigentlich Luigino Celestino Di Agostino heißt, aus Turin stammt und seit den Neunzigerjahren dank Songs wie der Nik-Kershaw-Coverversion »The Riddle« weltberühmt ist, stand in den vergangenen Wochen wegen eines anderen Hits in den Schlagzeilen: »L’amour toujours«. Nachdem ein Video von jungen Leuten auf Sylt viral ging, die zur Melodie von D’Agostinos Song ausländerfeindliche Parolen grölen, kennen viele seinen Namen.
Das Video hat D’Agostino nicht gesehen, bewusst, wie er sagt. Er hält sich von sozialen Medien fern, auch Interviews hat er in den vergangenen Jahren nur selten gegeben. Er will das Interview auf Italienisch führen, das Thema sei zu sensibel. Am Ende will Gigi D’Agostino telefonieren. Ganz klassisch.

SPIEGEL: Herr D’Agostino, wir haben in den vergangenen Wochen ein neues italienisches Wort gelernt.

D’Agostino: Ach ja?

SPIEGEL: »Tormentone« – ein Lied, das einen quält, weil es sich im Kopf festsetzt und nicht mehr verschwindet. Auf Deutsch: ein Ohrwurm. Wie wird man den wieder los?

D’Agostino: Musik, die es bis ins Gehirn schafft und dort etwas Gutes auslöst, will man im besten Fall gar nicht loswerden. Leider geht es in der aktuellen Diskussion um keinen angenehmen Ohrwurm.

SPIEGEL: Viele Deutsche haben im Moment »L’amour toujours« im Kopf – aber im xenophoben Gewand. Grund war ein Video, in dem junge Menschen auf Sylt dazu die ausländerfeindliche Parole »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus« sangen.

D’Agostino: Ich habe mir das Video bis heute nicht angeschaut, obwohl mir viele Journalisten den Link geschickt haben. Wenn ich von vornherein weiß, dass mir eine Sache nicht guttut, habe ich auch keinen Grund, sie zu konsumieren.

SPIEGEL: Weil Sie sich schützen wollen?

D’Agostino: Ich halte viel von mentaler Hygiene. Mir reicht es zu wissen, dass in dem Video rassistische Gesänge zu hören sind. Diese Menschen haben sich mein Lied für ihre Parolen ausgesucht, aber sie hätten das auch mit jedem anderen tun können. Das Problem ist nicht die Musik, man kann ihr keine Schuld geben. Das Problem sind perverse, rassistische Gedanken. Menschen, die solche Sätze grölen, denken, dass die Menschenrechte nicht für alle gelten.

SPIEGEL: Wie kommt man dagegen an?

D’Agostino: Auch in Deutschland ist Rassismus verboten, oder?

SPIEGEL: Volksverhetzung ist strafbar.

D’Agostino: Ich bin kein Jurist, aber ich glaube fest daran, dass es Möglichkeiten geben muss, hier einzugreifen. Wie kann es sein, dass offene Diskriminierung auf sozialen Medien nicht gelöscht wird? Jeder Mensch, der eine rassistische Botschaft senden will, braucht dafür ein Mittel der Verbreitung.

SPIEGEL: Das wahre Problem sind Facebook oder TikTok?

D’Agostino: Das wahre Problem ist Rassismus. Aber ohne die Plattformen würde er sich niemals so verbreiten.

SPIEGEL: Können Sie sich erklären, warum die Rassisten ausgerechnet »L’amour toujours« ausgewählt haben?

D’Agostino: Ich weiß es nicht. Keiner von ihnen wird meinen Song jemals ernsthaft gehört haben. Es geht darin um Liebe, um das universale Gefühl von Einigkeit. Der Text ist unmissverständlich. Umso weniger verstehe ich, warum wir nun seit Wochen über mein Lied diskutieren. Es wirkt wie eine »discussione da bar«.

SPIEGEL: Eine Stammtischdebatte.

D’Agostino: Ja, man spricht über ein unschuldiges Lied, weil es viel einfacher ist, als über Rassismus zu sprechen.

SPIEGEL: Viele Veranstalter, die Uefa, das Oktoberfest, haben »L’amour toujours« aus ihren Playlists verbannt. Was halten Sie davon?

D’Agostino: Überhaupt nichts, weil es eine doppelt falsche Botschaft sendet. Man zensiert aus Angst vor Rassisten ein Liebeslied. Und man verbannt mich, einen Ausländer, auf diese Weise aus dem Land. Es ist ein absurder, mittelalterlicher Gestus. Wie kann sich ausgerechnet das Oktoberfest, diese riesige Veranstaltung, gegen die Liebe aussprechen?

SPIEGEL: Keiner dieser Organisatoren hat etwas gegen Ihren Song. Man fürchtet Nachahmer, die im Rausch »Ausländer raus« grölen, und die Bilder, die dabei entstehen.

D’Agostino: Wer rassistische Parolen singen will, braucht dafür doch nicht mein Lied. Löst man mit dem Verbot irgendein Problem? Nein, man gibt ein paar Rassisten unglaublich viel Macht und Bedeutung.

SPIEGEL: »L’amour toujours« wirkte immer wie ein explizit multikulturelles Projekt: ein französischer Titel eines italienischen DJs mit englischem Text und einem chinesischen Schriftzeichen auf dem Plattencover.

D’Agostino: Mir ging es in meiner Musik immer um große, starke Gefühle, und die haben kein Gesicht, keine Nation. Meine Lieder hatten für mich immer auch einen therapeutischen Effekt. In den vergangenen Jahren war ich schwer krank und hatte zeitweise so große Schmerzen, dass ich nicht mal Musik hören konnte. Aber bei jedem kleinsten Lichtblick habe ich mich sofort ans Klavier gesetzt – und es war, als hätte ich einen Schalter umgelegt. Ich ernähre mich von solchen Gefühlen, von diesen Schwingungen, sie machen gesund. Ich habe auch »L’amour toujours« ursprünglich nicht geschrieben, um es zu veröffentlichen.

SPIEGEL: Das war Ende der Neunzigerjahre. Wie war diese Zeit für Sie?

D’Agostino: Es war leider eine der schwersten. Ich hatte damals eine Beziehung zu einer Frau, die für uns beide schlecht ausging. Wir landeten vor Gericht, stritten um finanzielle Dinge – ich konnte mir nicht erklären, wie eine schöne Sache so düster zu Ende gehen konnte.

SPIEGEL: Manche Leute gehen zum Psychologen, Sie setzten sich ans Klavier?

D’Agostino: Und andere fahren Fahrrad oder beginnen zu malen. Musik wird von vielen unterschätzt, sie ist mehr als eine abstrakte Folge von Akkorden. Sie wirkt von innen, lässt den Körper vibrieren. Ich hatte nie das Bedürfnis, zum Psychologen zu gehen. Aber ich wollte immer an mir arbeiten.

SPIEGEL: Sind Sie so zur elektronischen Musik gekommen?

D’Agostino: Angefangen hat es für mich mit dem Tanzen, als Kind in den frühen Achtzigerjahren, damals habe ich mich zu Tanzkursen angemeldet. Ich war relativ erfolglos, aber begeistert. Mein Logo, das Schriftzeichen, heißt übersetzt: Tanzen. Später ging ich in die Disco – und war verliebt.

SPIEGEL: In den DJ?

D’Agostino: Da oben stand ein Mann an der Konsole, der einfach nur durch die richtige Auswahl von Songs die Strömung eines ganzen Abends lenken konnte. Pazzesco!

SPIEGEL: Eine mächtige Position.

D’Agostino: Absolut. Ich habe dann angefangen, diese Konsole zu Hause nachzubauen. Wir hatten nicht viel Geld, deswegen musste ich den Kassettenrekorder und den Plattenspieler meiner Familie zusammenmontieren. Und dann kam dieser magische Moment.

SPIEGEL: Nämlich?

D’Agostino: Ich habe es das erste Mal geschafft, zwei Lieder übereinanderzulegen. Es war unbeschreiblich, es fühlte sich an wie ein Lichtstrahl, der plötzlich auf mich herabschien.

SPIEGEL: Wie haben Ihre Eltern auf diese Basteleien reagiert?

D’Agostino: Was denken Sie? Für die hatte ich einfach die Familiengeräte kaputt gemacht. Meine Eltern waren Fabrikarbeiter, mein Vater spielte nur als Hobby Ziehharmonika. Ich konnte ja nicht mal erklären, was genau ich da mache – und im Jahr 1982 war der Beruf eines DJs bei uns völlig unbekannt. Man fragte mich: »Was machst du da? Einfach immer neue Platten drauflegen?«

SPIEGEL: Wann kam der Durchbruch?

D’Agostino: Erst viel später. Meine ersten Abende habe ich als Assistent des Lichttechnikers verbracht und am Ende die Konsolen geputzt, für die richtigen DJs in den Diskotheken Turins. Ich habe alles gemacht, um in der Nähe dieser Geräte zu sein, um zu beobachten. Manchmal durfte ich dann eine Platte auflegen oder zwei, bis ich dann wirklich jeden Tag gearbeitet habe – und Stücke bringen musste, die mir weniger gefielen. Ich habe auch Gesellschaftstanz gespielt. Walzer. Sechzigerjahre. Ich konnte das Programm vorschlagen, aber nicht frei entscheiden.

SPIEGEL: Diese Autonomie mussten Sie sich erst erarbeiten?

D’Agostino: Der Abend, der mein Leben verändert hat, war der 17. Dezember 1990. Meine damalige Freundin hatte einen Kleiderladen – und einen eigenen Stand auf einer riesigen Turiner Messe. Ich hatte dort zwei Wochen lang den Auftrag, ihre Krawatten zu verkaufen. Währenddessen lief ich mit handkopierten Flyern herum, um all die anderen Verkäufer zu meiner Geburtstagsfeier in einer Diskothek einzuladen. Am Ende war der Laden voll, damit hatte ich Eindruck gemacht. Und durfte in den Monaten darauf endlich meine Events spielen, mit den von mir ausgewählten Liedern. Ich hatte die Strömung, mir fehlte nur noch die eigene Musik.

SPIEGEL: Und ein Studio, in dem Sie sie produzieren konnten.

D’Agostino: Dafür habe ich die Nächte in Proberäumen von Bands genutzt, die konnte man deutlich billiger mieten als tagsüber. Eine Stunde im Studio konnte zwischen 25.000 und 30.000 Lire kosten, umgerechnet rund 15 Euro. Eine Aufnahme auf einer einzigen, mit Acetat beschichteten Platte, kostete mehr als 90.000 Lire. Entsprechend viele Abende musste ich spielen, um mir das leisten zu können.

SPIEGEL: Haben Ihre Eltern da endlich verstanden, was ihr Sohn tut?

D’Agostino: Nein, und das lag nicht daran, dass sie mich zu wenig geliebt hätten. Meine Eltern haben vor allem gesehen, dass ich Probleme mache: Ich habe zu diesem Zeitpunkt Schulden aufgenommen, Schulden und noch mehr Schulden. Sie haben nicht gesehen, was ich gesehen habe. Und meine Musik hat zwar bei Events vor Tausenden Leuten funktioniert, im Radio hat sie aber niemanden interessiert.

SPIEGEL: Woran merkt man, dass ein Set einschlägt? Wenn die Leute schwitzen, singen, sich vergessen?

D’Agostino: Ich habe damals von elf Uhr abends bis sechs Uhr morgens gespielt. Wenn du sieben Stunden lang Kontakt mit Menschen hast, spürst du sie im Kopf wie eine Sinuskurve. Die hohen Momente, die tiefen, die Wellenbewegungen, eine »onda del piacere«. Zuerst spürt man sie, dann sieht man sie auch: Leute, die lächeln, sich umarmen.

SPIEGEL: Ein religiöser Moment.

D’Agostino: Absolut, zumindest eine spirituelle Gemeinschaft. Als würden alle in denselben Sonnenuntergang schauen oder auf denselben Farbton. 8000 Menschen, die gleichzeitig und unmissverständlich »Liebe« schreien. Ich könnte noch lange darüber reden, wie viele Monate haben Sie?

SPIEGEL: Als Sie schließlich mit Ihrer »poesia ritmica«, wie Sie sie nannten, berühmt wurden, war Eurodance auf dem Höhepunkt. Wie hat sich die Klubkultur bis heute verändert?

D’Agostino: Die Menschen damals tanzten genauso wie heute, aber ihnen fehlte eine Sache: das Smartphone. Deshalb waren sie im Kopf mehr bei sich, es ging vor allem um den eigenen Genuss. Ich sage nicht, dass die Zeiten heute schlechter sind – nur dass sie sich geändert haben: Viele Leute sind mehr damit beschäftigt, ihre Erlebnisse zu senden, als sie zu spüren.

SPIEGEL: Ohne Smartphone gäbe es auch keine Debatte über rassistische Parolen, sie wären vielleicht einfach auf Sylt geblieben.

D’Agostino: Kann sein. Ein hässlicher Gedanke stirbt nicht, nur weil man ihn nicht verbreitet. Aber zumindest wird er nicht verstärkt, man verlängert ihm nicht das Leben. Wissen Sie, was mich am meisten besorgt?

SPIEGEL: Was?

D’Agostino: Wenn ich Ihnen einen rassistischen Gedanken entgegenwerfe, haben Sie Filter, die damit umgehen können. Ein fünf-, sechsjähriges Kind, das auf Papas Handy herumspielt, hört nur die Melodie, den Rhythmus. Es hat nicht die Freiheit, sich gegen diese Botschaften zu wehren, sie nisten sich einfach ein.

SPIEGEL: Sehen Sie sich als politischen Künstler?

D’Agostino: Das kommt darauf an. Wenn sich die Politik für gleiche Rechte für alle einsetzt, dann ja, das ist die Basis für alles andere: die Justiz, die Gesundheit, das Soziale. Im Moment würde ich mir Gesetze wünschen, um die sozialen Netzwerke stärker zu regulieren. Man muss dem Rassismus den Raum nehmen, das ist Aufgabe der Politik.

SPIEGEL: 2016 gaben Sie ein Konzert für die populistische Fünf-Sterne-Bewegung, auf Einladung des Kabarettisten und Politikers Beppe Grillo. Warum?

D’Agostino: Das war eine einmalige Sache und kein politisches Statement. Ich habe es aus Sympathie für Beppe Grillo getan, weil ich seit meiner Kindheit ein Fan war. Mit den Positionen und Ideen der Partei wollte ich mich bestimmt nicht gemein machen.

SPIEGEL: Hat die italienische Politik öfter versucht, Sie für sich zu gewinnen? Für den Wahlkampf der rechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wären Sie bestimmt ein Jackpot.

D’Agostino: Die Versuche aus der Politik gab es, aber ich habe das bewusst nicht gemacht. Wenn ich mit meinen Worten, mit meiner Musik, für eine Partei sprechen würde, müsste ich ständig darauf achtgeben, wohin sie sich bewegt. Selbst ein Parteichef kann im Wahlkampf Dinge erzählen, die er später wieder verwirft. Und plötzlich stellt man sich Fragen, auf die einem niemand je eine Antwort geben kann.

SPIEGEL: Und zwar?

D’Agostino: Wenn ich ein Auto stehle, werde ich angezeigt und lande vor Gericht. Bei Politikern sehe ich Skandale, die jeden anderen ins Gefängnis bringen würden – und sie fliegen oft nicht mal aus dem Parlament. Wie kann das sein? Aber ich will nicht populistisch klingen, ich weiß nicht genug darüber. Ich schaue nicht mal regelmäßig fern.

SPIEGEL: Sie haben keinen Fernseher?

D’Agostino: Doch, nur keine Sender. Vor elf Jahren habe ich den Fernsehkanälen die Stecker gezogen, weil ich durch das Fernsehen auch Dinge aufnehme, die ich nicht in meinem Kopf haben will. Auch Werbung ist politisch. Ich verstehe nicht, wie mir ein Fernsehsender Dinge zeigen kann, die meiner Gesundheit schaden würden. Auf dem Sofa sind wir schutzlos, alles fließt in uns hinein.

SPIEGEL: Versendet ein Politiker nicht genauso Botschaften wie Sie mit Ihrer Musik?

D’Agostino: Er baut Harmonien mit Worten, und sie können sehr gut klingen. Deswegen sind sie so gefährlich.

SPIEGEL: Manche DJs, Künstler, Musiker haben kein Problem damit, in Saudi-Arabien, Russland, Dubai aufzutreten. Sie auch?

D’Agostino: Nein, ich habe auch viele andere Gelder nie genommen, weil ich sehr genau darauf achte, welche Botschaften über mein Gesicht, über meine Musik gesendet werden. Sogar wenn nur für mein Konzert geworben wird. Ich bin unabhängig, wirklich unabhängig.

SPIEGEL: Sehen Sie sich als Europäer?

D’Agostino: Ich bin in Turin geboren und habe in meiner Jugend immer vier Monate pro Jahr in der süditalienischen Provinz Salerno gelebt. Ich fühle mich deswegen »torinese« und »salernitano«, weil ich nicht anders kann – Kinder sind Schwämme, die ihre Heimat in sich aufsaugen. Politisch bin ich ein Weltbürger. Ich könnte überall wohnen, wenn sie mich nicht rauswerfen.

SPIEGEL: Wählen Sie bei den EU-Wahlen?

D’Agostino: Selbstverständlich, wie könnte ich nicht, das ist unser Recht. Aber es fällt mir wahnsinnig schwer, mich zu entscheiden. Mein innerer Algorithmus bräuchte über all diese Personen Daten, die er nicht hat. Also entscheide ich auf Basis weniger Eindrücke.

SPIEGEL: Sie haben für dieses Gespräch um ein Telefonat gebeten, ohne Videocall, ohne persönliches Treffen. Sie seien »schüchtern«, schrieben Sie uns im Vorfeld. Wie geht das: ein schüchterner DJ?

D’Agostino: Ganz einfach: Auf der Bühne zu stehen, hinter einem Pult, ist etwas völlig anderes als persönlich zu sprechen. Ich lebe seit vielen Jahren wie ein Einsiedler, man sieht mich ausschließlich bei meinen Sets. Vor zwei Wochen habe ich dem italienischen Fernsehen ein Interview gegeben, es war eines der wenigen in meinem Leben. Alle waren supernett zu mir, und trotzdem habe ich mich ständig unwohl gefühlt. Es ist eine körperliche Sache, schwer zu erklären.

SPIEGEL: Weil Ihnen das DJ-Pult fehlte?

D’Agostino: Weil ich lieber mit Tönen als mit Worten kommuniziere. Das ist in privaten Beziehungen nicht anders. Und einer der Gründe, warum ich Konzerte immer geliebt habe. Jede unsichere, schüchterne Person sucht zuerst nach einer Sprache, in der sie verstanden wird.

SPIEGEL: Auch im Februar sah man Sie im Fernsehen, sie spielten beim berühmten italienischen Festival di Sanremo. Es war das Comeback nach Ihrer langen Abwesenheit.

D’Agostino: Mir sind dabei die Tränen gekommen, es war beinahe kitschig. Wenn man jahrelang von Schmerzen geplagt ist und nicht weiß, ob und wie man wieder rauskommt, kann man sich so einen Moment nicht mehr vorstellen. Und dann ist die Magie plötzlich wieder da. Und unter Tausenden Menschen fällt nicht auf, wenn ein einzelner Trottel darunter ist, man bemerkt ihn nicht mal.

SPIEGEL: Ein Trottel, der gegen Ausländer hetzt, zum Beispiel?

D’Agostino: Genau das ist das Paradoxe daran: In so einem Moment wird dieser Mensch selbst zum »Fremden«, gegen den er angeblich anschreit. Er wird fremd, weil er nicht liebt, weil er nicht gemeinsam fühlt, weil er in seinem eigenen Universum lebt. Das ist kein Wortspiel, das ist Logik. Wenn du gegen Fremde bist, wirst du selbst zum Fremden. Ich würde diese Menschen aus dem Sylt-Video gern beiseitenehmen und sie fragen: »Was willst du eigentlich? Was macht dir so zu schaffen?«

SPIEGEL: Im September treten Sie wieder in Deutschland auf. Haben Sie mal überlegt abzusagen?

D’Agostino: Warum sollte ich?

SPIEGEL: Aus Frust?

D’Agostino: Alles, was passieren würde, ist, dass ich diesem »Fall« noch mehr Aufmerksamkeit und Bedeutung schenken würde. Er würde noch größer, noch skandalöser, das will ich nicht. Diese Menschen verdienen meine Aufmerksamkeit nicht, ich habe auch keinen Post abgesetzt, um mich damit auseinanderzusetzen.

SPIEGEL: Was, wenn man Sie nach Sylt einlädt?

D’Agostino: Das ist schon passiert.

SPIEGEL: Fahren Sie hin?

D’Agostino: Ist der SPIEGEL eine Klatschzeitschrift? Wenn ich jetzt darüber sprechen würde, würde ich dem hässlichsten Teil dieser hässlichen Nachricht nur wieder neues Futter geben.

SPIEGEL: Es könnte auch ein versöhnlicher Abschluss dieses Skandals sein: Gigi D’Agostino auf Sylt, in der Pony Bar: ein Kreis, der sich schließt.

D’Agostino: Wenn ich etwas über Kommunikation und Medien gelernt habe, dann das: Wann immer Menschen sagen, dass man dieses oder jenes tun solle, weil es einer Sache »helfen« könnte, denken sie dabei auch an sich selbst. Und nicht alle Berechnungen, die sie anstellen, sind richtig. Das Schlimmste, was man mit einer schrecklichen Botschaft anstellen kann, ist, sie noch sichtbarer zu machen. Ich komme nach Deutschland, um Musik zu machen. Basta.
SPIEGEL: Herr D’Agostino, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

https://www.spiegel.de/kultur/musik/dj-gigi-dagostino-man-zensiert-aus-angst-vor-rassisten-ein-liebeslied-a-1fc8b474-432d-464a-ada2-66695d43eac8?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter#ref=rss

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vor 16 Stunden schrieb Wally44:

Gigi hat dem SPIEGEL ein richtig langes Interview gegeben.
Ich poste es hier mal komplett, aufgrund der Paywall.

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Gigi D’Agostino über rechtsextremen Ohrwurm

»Man zensiert aus Angst vor Rassisten ein Liebeslied«

Durch ausländerfeindliche Gesänge ist »L’amour toujours« zur Hymne der Rechtsextremen geworden. Hier spricht Gigi D’Agostino über politische Vereinnahmung, die Macht des DJs und sein Leben als medialer Einsiedler.

D’Agostino ist schüchtern. Der italienische DJ, 56, überlegt erst, den SPIEGEL persönlich zu treffen in Lugano, wo er sein Studio hat, verwirft die Idee dann aber. Für einen Videochat steht er auch nicht bereit.
Der Musiker, der eigentlich Luigino Celestino Di Agostino heißt, aus Turin stammt und seit den Neunzigerjahren dank Songs wie der Nik-Kershaw-Coverversion »The Riddle« weltberühmt ist, stand in den vergangenen Wochen wegen eines anderen Hits in den Schlagzeilen: »L’amour toujours«. Nachdem ein Video von jungen Leuten auf Sylt viral ging, die zur Melodie von D’Agostinos Song ausländerfeindliche Parolen grölen, kennen viele seinen Namen.
Das Video hat D’Agostino nicht gesehen, bewusst, wie er sagt. Er hält sich von sozialen Medien fern, auch Interviews hat er in den vergangenen Jahren nur selten gegeben. Er will das Interview auf Italienisch führen, das Thema sei zu sensibel. Am Ende will Gigi D’Agostino telefonieren. Ganz klassisch.

SPIEGEL: Herr D’Agostino, wir haben in den vergangenen Wochen ein neues italienisches Wort gelernt.

D’Agostino: Ach ja?

SPIEGEL: »Tormentone« – ein Lied, das einen quält, weil es sich im Kopf festsetzt und nicht mehr verschwindet. Auf Deutsch: ein Ohrwurm. Wie wird man den wieder los?

D’Agostino: Musik, die es bis ins Gehirn schafft und dort etwas Gutes auslöst, will man im besten Fall gar nicht loswerden. Leider geht es in der aktuellen Diskussion um keinen angenehmen Ohrwurm.

SPIEGEL: Viele Deutsche haben im Moment »L’amour toujours« im Kopf – aber im xenophoben Gewand. Grund war ein Video, in dem junge Menschen auf Sylt dazu die ausländerfeindliche Parole »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus« sangen.

D’Agostino: Ich habe mir das Video bis heute nicht angeschaut, obwohl mir viele Journalisten den Link geschickt haben. Wenn ich von vornherein weiß, dass mir eine Sache nicht guttut, habe ich auch keinen Grund, sie zu konsumieren.

SPIEGEL: Weil Sie sich schützen wollen?

D’Agostino: Ich halte viel von mentaler Hygiene. Mir reicht es zu wissen, dass in dem Video rassistische Gesänge zu hören sind. Diese Menschen haben sich mein Lied für ihre Parolen ausgesucht, aber sie hätten das auch mit jedem anderen tun können. Das Problem ist nicht die Musik, man kann ihr keine Schuld geben. Das Problem sind perverse, rassistische Gedanken. Menschen, die solche Sätze grölen, denken, dass die Menschenrechte nicht für alle gelten.

SPIEGEL: Wie kommt man dagegen an?

D’Agostino: Auch in Deutschland ist Rassismus verboten, oder?

SPIEGEL: Volksverhetzung ist strafbar.

D’Agostino: Ich bin kein Jurist, aber ich glaube fest daran, dass es Möglichkeiten geben muss, hier einzugreifen. Wie kann es sein, dass offene Diskriminierung auf sozialen Medien nicht gelöscht wird? Jeder Mensch, der eine rassistische Botschaft senden will, braucht dafür ein Mittel der Verbreitung.

SPIEGEL: Das wahre Problem sind Facebook oder TikTok?

D’Agostino: Das wahre Problem ist Rassismus. Aber ohne die Plattformen würde er sich niemals so verbreiten.

SPIEGEL: Können Sie sich erklären, warum die Rassisten ausgerechnet »L’amour toujours« ausgewählt haben?

D’Agostino: Ich weiß es nicht. Keiner von ihnen wird meinen Song jemals ernsthaft gehört haben. Es geht darin um Liebe, um das universale Gefühl von Einigkeit. Der Text ist unmissverständlich. Umso weniger verstehe ich, warum wir nun seit Wochen über mein Lied diskutieren. Es wirkt wie eine »discussione da bar«.

SPIEGEL: Eine Stammtischdebatte.

D’Agostino: Ja, man spricht über ein unschuldiges Lied, weil es viel einfacher ist, als über Rassismus zu sprechen.

SPIEGEL: Viele Veranstalter, die Uefa, das Oktoberfest, haben »L’amour toujours« aus ihren Playlists verbannt. Was halten Sie davon?

D’Agostino: Überhaupt nichts, weil es eine doppelt falsche Botschaft sendet. Man zensiert aus Angst vor Rassisten ein Liebeslied. Und man verbannt mich, einen Ausländer, auf diese Weise aus dem Land. Es ist ein absurder, mittelalterlicher Gestus. Wie kann sich ausgerechnet das Oktoberfest, diese riesige Veranstaltung, gegen die Liebe aussprechen?

SPIEGEL: Keiner dieser Organisatoren hat etwas gegen Ihren Song. Man fürchtet Nachahmer, die im Rausch »Ausländer raus« grölen, und die Bilder, die dabei entstehen.

D’Agostino: Wer rassistische Parolen singen will, braucht dafür doch nicht mein Lied. Löst man mit dem Verbot irgendein Problem? Nein, man gibt ein paar Rassisten unglaublich viel Macht und Bedeutung.

SPIEGEL: »L’amour toujours« wirkte immer wie ein explizit multikulturelles Projekt: ein französischer Titel eines italienischen DJs mit englischem Text und einem chinesischen Schriftzeichen auf dem Plattencover.

D’Agostino: Mir ging es in meiner Musik immer um große, starke Gefühle, und die haben kein Gesicht, keine Nation. Meine Lieder hatten für mich immer auch einen therapeutischen Effekt. In den vergangenen Jahren war ich schwer krank und hatte zeitweise so große Schmerzen, dass ich nicht mal Musik hören konnte. Aber bei jedem kleinsten Lichtblick habe ich mich sofort ans Klavier gesetzt – und es war, als hätte ich einen Schalter umgelegt. Ich ernähre mich von solchen Gefühlen, von diesen Schwingungen, sie machen gesund. Ich habe auch »L’amour toujours« ursprünglich nicht geschrieben, um es zu veröffentlichen.

SPIEGEL: Das war Ende der Neunzigerjahre. Wie war diese Zeit für Sie?

D’Agostino: Es war leider eine der schwersten. Ich hatte damals eine Beziehung zu einer Frau, die für uns beide schlecht ausging. Wir landeten vor Gericht, stritten um finanzielle Dinge – ich konnte mir nicht erklären, wie eine schöne Sache so düster zu Ende gehen konnte.

SPIEGEL: Manche Leute gehen zum Psychologen, Sie setzten sich ans Klavier?

D’Agostino: Und andere fahren Fahrrad oder beginnen zu malen. Musik wird von vielen unterschätzt, sie ist mehr als eine abstrakte Folge von Akkorden. Sie wirkt von innen, lässt den Körper vibrieren. Ich hatte nie das Bedürfnis, zum Psychologen zu gehen. Aber ich wollte immer an mir arbeiten.

SPIEGEL: Sind Sie so zur elektronischen Musik gekommen?

D’Agostino: Angefangen hat es für mich mit dem Tanzen, als Kind in den frühen Achtzigerjahren, damals habe ich mich zu Tanzkursen angemeldet. Ich war relativ erfolglos, aber begeistert. Mein Logo, das Schriftzeichen, heißt übersetzt: Tanzen. Später ging ich in die Disco – und war verliebt.

SPIEGEL: In den DJ?

D’Agostino: Da oben stand ein Mann an der Konsole, der einfach nur durch die richtige Auswahl von Songs die Strömung eines ganzen Abends lenken konnte. Pazzesco!

SPIEGEL: Eine mächtige Position.

D’Agostino: Absolut. Ich habe dann angefangen, diese Konsole zu Hause nachzubauen. Wir hatten nicht viel Geld, deswegen musste ich den Kassettenrekorder und den Plattenspieler meiner Familie zusammenmontieren. Und dann kam dieser magische Moment.

SPIEGEL: Nämlich?

D’Agostino: Ich habe es das erste Mal geschafft, zwei Lieder übereinanderzulegen. Es war unbeschreiblich, es fühlte sich an wie ein Lichtstrahl, der plötzlich auf mich herabschien.

SPIEGEL: Wie haben Ihre Eltern auf diese Basteleien reagiert?

D’Agostino: Was denken Sie? Für die hatte ich einfach die Familiengeräte kaputt gemacht. Meine Eltern waren Fabrikarbeiter, mein Vater spielte nur als Hobby Ziehharmonika. Ich konnte ja nicht mal erklären, was genau ich da mache – und im Jahr 1982 war der Beruf eines DJs bei uns völlig unbekannt. Man fragte mich: »Was machst du da? Einfach immer neue Platten drauflegen?«

SPIEGEL: Wann kam der Durchbruch?

D’Agostino: Erst viel später. Meine ersten Abende habe ich als Assistent des Lichttechnikers verbracht und am Ende die Konsolen geputzt, für die richtigen DJs in den Diskotheken Turins. Ich habe alles gemacht, um in der Nähe dieser Geräte zu sein, um zu beobachten. Manchmal durfte ich dann eine Platte auflegen oder zwei, bis ich dann wirklich jeden Tag gearbeitet habe – und Stücke bringen musste, die mir weniger gefielen. Ich habe auch Gesellschaftstanz gespielt. Walzer. Sechzigerjahre. Ich konnte das Programm vorschlagen, aber nicht frei entscheiden.

SPIEGEL: Diese Autonomie mussten Sie sich erst erarbeiten?

D’Agostino: Der Abend, der mein Leben verändert hat, war der 17. Dezember 1990. Meine damalige Freundin hatte einen Kleiderladen – und einen eigenen Stand auf einer riesigen Turiner Messe. Ich hatte dort zwei Wochen lang den Auftrag, ihre Krawatten zu verkaufen. Währenddessen lief ich mit handkopierten Flyern herum, um all die anderen Verkäufer zu meiner Geburtstagsfeier in einer Diskothek einzuladen. Am Ende war der Laden voll, damit hatte ich Eindruck gemacht. Und durfte in den Monaten darauf endlich meine Events spielen, mit den von mir ausgewählten Liedern. Ich hatte die Strömung, mir fehlte nur noch die eigene Musik.

SPIEGEL: Und ein Studio, in dem Sie sie produzieren konnten.

D’Agostino: Dafür habe ich die Nächte in Proberäumen von Bands genutzt, die konnte man deutlich billiger mieten als tagsüber. Eine Stunde im Studio konnte zwischen 25.000 und 30.000 Lire kosten, umgerechnet rund 15 Euro. Eine Aufnahme auf einer einzigen, mit Acetat beschichteten Platte, kostete mehr als 90.000 Lire. Entsprechend viele Abende musste ich spielen, um mir das leisten zu können.

SPIEGEL: Haben Ihre Eltern da endlich verstanden, was ihr Sohn tut?

D’Agostino: Nein, und das lag nicht daran, dass sie mich zu wenig geliebt hätten. Meine Eltern haben vor allem gesehen, dass ich Probleme mache: Ich habe zu diesem Zeitpunkt Schulden aufgenommen, Schulden und noch mehr Schulden. Sie haben nicht gesehen, was ich gesehen habe. Und meine Musik hat zwar bei Events vor Tausenden Leuten funktioniert, im Radio hat sie aber niemanden interessiert.

SPIEGEL: Woran merkt man, dass ein Set einschlägt? Wenn die Leute schwitzen, singen, sich vergessen?

D’Agostino: Ich habe damals von elf Uhr abends bis sechs Uhr morgens gespielt. Wenn du sieben Stunden lang Kontakt mit Menschen hast, spürst du sie im Kopf wie eine Sinuskurve. Die hohen Momente, die tiefen, die Wellenbewegungen, eine »onda del piacere«. Zuerst spürt man sie, dann sieht man sie auch: Leute, die lächeln, sich umarmen.

SPIEGEL: Ein religiöser Moment.

D’Agostino: Absolut, zumindest eine spirituelle Gemeinschaft. Als würden alle in denselben Sonnenuntergang schauen oder auf denselben Farbton. 8000 Menschen, die gleichzeitig und unmissverständlich »Liebe« schreien. Ich könnte noch lange darüber reden, wie viele Monate haben Sie?

SPIEGEL: Als Sie schließlich mit Ihrer »poesia ritmica«, wie Sie sie nannten, berühmt wurden, war Eurodance auf dem Höhepunkt. Wie hat sich die Klubkultur bis heute verändert?

D’Agostino: Die Menschen damals tanzten genauso wie heute, aber ihnen fehlte eine Sache: das Smartphone. Deshalb waren sie im Kopf mehr bei sich, es ging vor allem um den eigenen Genuss. Ich sage nicht, dass die Zeiten heute schlechter sind – nur dass sie sich geändert haben: Viele Leute sind mehr damit beschäftigt, ihre Erlebnisse zu senden, als sie zu spüren.

SPIEGEL: Ohne Smartphone gäbe es auch keine Debatte über rassistische Parolen, sie wären vielleicht einfach auf Sylt geblieben.

D’Agostino: Kann sein. Ein hässlicher Gedanke stirbt nicht, nur weil man ihn nicht verbreitet. Aber zumindest wird er nicht verstärkt, man verlängert ihm nicht das Leben. Wissen Sie, was mich am meisten besorgt?

SPIEGEL: Was?

D’Agostino: Wenn ich Ihnen einen rassistischen Gedanken entgegenwerfe, haben Sie Filter, die damit umgehen können. Ein fünf-, sechsjähriges Kind, das auf Papas Handy herumspielt, hört nur die Melodie, den Rhythmus. Es hat nicht die Freiheit, sich gegen diese Botschaften zu wehren, sie nisten sich einfach ein.

SPIEGEL: Sehen Sie sich als politischen Künstler?

D’Agostino: Das kommt darauf an. Wenn sich die Politik für gleiche Rechte für alle einsetzt, dann ja, das ist die Basis für alles andere: die Justiz, die Gesundheit, das Soziale. Im Moment würde ich mir Gesetze wünschen, um die sozialen Netzwerke stärker zu regulieren. Man muss dem Rassismus den Raum nehmen, das ist Aufgabe der Politik.

SPIEGEL: 2016 gaben Sie ein Konzert für die populistische Fünf-Sterne-Bewegung, auf Einladung des Kabarettisten und Politikers Beppe Grillo. Warum?

D’Agostino: Das war eine einmalige Sache und kein politisches Statement. Ich habe es aus Sympathie für Beppe Grillo getan, weil ich seit meiner Kindheit ein Fan war. Mit den Positionen und Ideen der Partei wollte ich mich bestimmt nicht gemein machen.

SPIEGEL: Hat die italienische Politik öfter versucht, Sie für sich zu gewinnen? Für den Wahlkampf der rechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wären Sie bestimmt ein Jackpot.

D’Agostino: Die Versuche aus der Politik gab es, aber ich habe das bewusst nicht gemacht. Wenn ich mit meinen Worten, mit meiner Musik, für eine Partei sprechen würde, müsste ich ständig darauf achtgeben, wohin sie sich bewegt. Selbst ein Parteichef kann im Wahlkampf Dinge erzählen, die er später wieder verwirft. Und plötzlich stellt man sich Fragen, auf die einem niemand je eine Antwort geben kann.

SPIEGEL: Und zwar?

D’Agostino: Wenn ich ein Auto stehle, werde ich angezeigt und lande vor Gericht. Bei Politikern sehe ich Skandale, die jeden anderen ins Gefängnis bringen würden – und sie fliegen oft nicht mal aus dem Parlament. Wie kann das sein? Aber ich will nicht populistisch klingen, ich weiß nicht genug darüber. Ich schaue nicht mal regelmäßig fern.

SPIEGEL: Sie haben keinen Fernseher?

D’Agostino: Doch, nur keine Sender. Vor elf Jahren habe ich den Fernsehkanälen die Stecker gezogen, weil ich durch das Fernsehen auch Dinge aufnehme, die ich nicht in meinem Kopf haben will. Auch Werbung ist politisch. Ich verstehe nicht, wie mir ein Fernsehsender Dinge zeigen kann, die meiner Gesundheit schaden würden. Auf dem Sofa sind wir schutzlos, alles fließt in uns hinein.

SPIEGEL: Versendet ein Politiker nicht genauso Botschaften wie Sie mit Ihrer Musik?

D’Agostino: Er baut Harmonien mit Worten, und sie können sehr gut klingen. Deswegen sind sie so gefährlich.

SPIEGEL: Manche DJs, Künstler, Musiker haben kein Problem damit, in Saudi-Arabien, Russland, Dubai aufzutreten. Sie auch?

D’Agostino: Nein, ich habe auch viele andere Gelder nie genommen, weil ich sehr genau darauf achte, welche Botschaften über mein Gesicht, über meine Musik gesendet werden. Sogar wenn nur für mein Konzert geworben wird. Ich bin unabhängig, wirklich unabhängig.

SPIEGEL: Sehen Sie sich als Europäer?

D’Agostino: Ich bin in Turin geboren und habe in meiner Jugend immer vier Monate pro Jahr in der süditalienischen Provinz Salerno gelebt. Ich fühle mich deswegen »torinese« und »salernitano«, weil ich nicht anders kann – Kinder sind Schwämme, die ihre Heimat in sich aufsaugen. Politisch bin ich ein Weltbürger. Ich könnte überall wohnen, wenn sie mich nicht rauswerfen.

SPIEGEL: Wählen Sie bei den EU-Wahlen?

D’Agostino: Selbstverständlich, wie könnte ich nicht, das ist unser Recht. Aber es fällt mir wahnsinnig schwer, mich zu entscheiden. Mein innerer Algorithmus bräuchte über all diese Personen Daten, die er nicht hat. Also entscheide ich auf Basis weniger Eindrücke.

SPIEGEL: Sie haben für dieses Gespräch um ein Telefonat gebeten, ohne Videocall, ohne persönliches Treffen. Sie seien »schüchtern«, schrieben Sie uns im Vorfeld. Wie geht das: ein schüchterner DJ?

D’Agostino: Ganz einfach: Auf der Bühne zu stehen, hinter einem Pult, ist etwas völlig anderes als persönlich zu sprechen. Ich lebe seit vielen Jahren wie ein Einsiedler, man sieht mich ausschließlich bei meinen Sets. Vor zwei Wochen habe ich dem italienischen Fernsehen ein Interview gegeben, es war eines der wenigen in meinem Leben. Alle waren supernett zu mir, und trotzdem habe ich mich ständig unwohl gefühlt. Es ist eine körperliche Sache, schwer zu erklären.

SPIEGEL: Weil Ihnen das DJ-Pult fehlte?

D’Agostino: Weil ich lieber mit Tönen als mit Worten kommuniziere. Das ist in privaten Beziehungen nicht anders. Und einer der Gründe, warum ich Konzerte immer geliebt habe. Jede unsichere, schüchterne Person sucht zuerst nach einer Sprache, in der sie verstanden wird.

SPIEGEL: Auch im Februar sah man Sie im Fernsehen, sie spielten beim berühmten italienischen Festival di Sanremo. Es war das Comeback nach Ihrer langen Abwesenheit.

D’Agostino: Mir sind dabei die Tränen gekommen, es war beinahe kitschig. Wenn man jahrelang von Schmerzen geplagt ist und nicht weiß, ob und wie man wieder rauskommt, kann man sich so einen Moment nicht mehr vorstellen. Und dann ist die Magie plötzlich wieder da. Und unter Tausenden Menschen fällt nicht auf, wenn ein einzelner Trottel darunter ist, man bemerkt ihn nicht mal.

SPIEGEL: Ein Trottel, der gegen Ausländer hetzt, zum Beispiel?

D’Agostino: Genau das ist das Paradoxe daran: In so einem Moment wird dieser Mensch selbst zum »Fremden«, gegen den er angeblich anschreit. Er wird fremd, weil er nicht liebt, weil er nicht gemeinsam fühlt, weil er in seinem eigenen Universum lebt. Das ist kein Wortspiel, das ist Logik. Wenn du gegen Fremde bist, wirst du selbst zum Fremden. Ich würde diese Menschen aus dem Sylt-Video gern beiseitenehmen und sie fragen: »Was willst du eigentlich? Was macht dir so zu schaffen?«

SPIEGEL: Im September treten Sie wieder in Deutschland auf. Haben Sie mal überlegt abzusagen?

D’Agostino: Warum sollte ich?

SPIEGEL: Aus Frust?

D’Agostino: Alles, was passieren würde, ist, dass ich diesem »Fall« noch mehr Aufmerksamkeit und Bedeutung schenken würde. Er würde noch größer, noch skandalöser, das will ich nicht. Diese Menschen verdienen meine Aufmerksamkeit nicht, ich habe auch keinen Post abgesetzt, um mich damit auseinanderzusetzen.

SPIEGEL: Was, wenn man Sie nach Sylt einlädt?

D’Agostino: Das ist schon passiert.

SPIEGEL: Fahren Sie hin?

D’Agostino: Ist der SPIEGEL eine Klatschzeitschrift? Wenn ich jetzt darüber sprechen würde, würde ich dem hässlichsten Teil dieser hässlichen Nachricht nur wieder neues Futter geben.

SPIEGEL: Es könnte auch ein versöhnlicher Abschluss dieses Skandals sein: Gigi D’Agostino auf Sylt, in der Pony Bar: ein Kreis, der sich schließt.

D’Agostino: Wenn ich etwas über Kommunikation und Medien gelernt habe, dann das: Wann immer Menschen sagen, dass man dieses oder jenes tun solle, weil es einer Sache »helfen« könnte, denken sie dabei auch an sich selbst. Und nicht alle Berechnungen, die sie anstellen, sind richtig. Das Schlimmste, was man mit einer schrecklichen Botschaft anstellen kann, ist, sie noch sichtbarer zu machen. Ich komme nach Deutschland, um Musik zu machen. Basta.

SPIEGEL: Herr D’Agostino, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

https://www.spiegel.de/kultur/musik/dj-gigi-dagostino-man-zensiert-aus-angst-vor-rassisten-ein-liebeslied-a-1fc8b474-432d-464a-ada2-66695d43eac8?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter#ref=rss

Ab 8. Juni gibt es das Interview mit Gigi D'Agostino übrigens in der SPIEGEL Printausgabe.

Ich werde mir am Montag erstmal ein oder zwei Ausgaben holen.

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Schönes Interview. Ich freue mich auf die gedruckte Ausgabe.
Spannend finde ich, dass meist das Telefon das Medium seiner Wahl ist, mit dem Verweis auf Schüchternheit. Mir wäre ein Treffen in Persona lieber als ein Telefonat und ich bezeichne mich auch als zurückhaltend. 😅

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vor 22 Minuten schrieb hlennarz:

Das er L'Amour Toujours damals erst gar nicht veröffentlichen wollte ist auch wieder so typisch...  :augenrollen:

Man hat manchmal das Gefühl, auch bei diesen "Personal Trip" Mixen auf Youtube, dass er eigentlich nur für sich selbst produziert und uns gnädigerweise so 20% davon zur Verfügung stellt... 😂

@ DHF: Ja bei mir auch so... bin auch recht schüchtern, aber das Telefon ist bei mir generell die letzte Wahl 😄 

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